elRapido

lento? rapido!

Mein Rückblick auf die Mitgliederversammlung des HSV 2012

Brutale Abrechnung mit Hoffmann! – So titelte die BILD Zeitung im Vorfeld der Mitgliederversammlung. Da fallen einem gleich die Szenen randalierender Hooligans ein. Wird die Bühne gestürmt wenn Hoffmann anwesend sein sollte? Wird seine Rechtfertigung mit entzündeter Pyrotechnik gestört? Solche Assoziationen wurden durch diese Schlagzeile geweckt.

Kaiserwetter für den HSV

Kaiserwetter für den HSV

Morgens um 10:30 Uhr sah es vor dem CCH noch recht friedlich aus. Es war zumindest keine Hundertschaft zu sehen. Sonnenschein und gute Laune, keine langen Warteschlangen bei der Ausgabe der Stimmzettel. Erstes Highlight: glücklicherweise fand die Versammlung in Saal 1 mit bequemen Sesseln statt und nicht wie im letzten Jahr auf mit der Zeit unbequemen Stühlen.

Was sich zunächst unwichtig anhört, sollte sich im Laufe des Tages als ungemein bedeutsam erweisen. Ich musste um 19 Uhr aufbrechen, war dann aber auch am Limit der Aufnahmefähigkeit und hatte genügend Sitzfleisch für den Tag bewiesen. Um 18 Uhr war die Hälfte der Tagesordnungspunkte erst abgearbeitet. Natürlich, die ersten Punkte waren zeitintensiver als die letzten, dennoch mussten Punkte auf eine zusätzliche Sitzung im Mai verschoben werden. Vielleicht sollte man sich überlegen die Mitgliederversammlung auf 2 Tage zu strecken. Wenn Punkte mit dem Argument durchgeprügelt werden “Man müsste jetzt aber was beschließen, da ein hoher Zeitdruck bestehe”, wie bei den Satzungsänderungen bei Ochsenzoll, dann leidet darunter die Meinungsbildung und Beschlussfähigkeit der Mitglieder. Deswegen gab es bei dem Thema Ochsenzoll auch mehrere Wortbeiträge, in denen ehrlich eingestanden wurde, dass man mit der präsentierten Thematik überfordert sei. Besonders, da viele Änderungen zusammengefasst wurden. Es geht dabei auch nicht um Vertrauen oder Misstrauen. Es soll einfach nicht zu “Alibiwahlen” kommen. Ich habe die Versammlung mitten in der Diskussion verlassen müssen, aber hätte guten Gewissens nur mit einer Enthaltung abstimmen können. Möglicherweise erreicht man aber auch eine Grenze im Vereinswesen. Es gibt Themen, welche zu kompliziert für “Otto-Normalmitglied” sind. In einem kleinen Verein wird es dann vielleicht schnell durch gewunken, bei uns dauert es dann “etwas” länger.

Ein Opfer der späten Stunde wurde der Antrag auf Fernwahl. Wie lange geistert dieses Thema eigentlich schon herum? Ich bin bei dem Thema etwas gespalten. Zum Einen sollte es Mitgliedern, die weiter entfernt wohnen,  ermöglicht werden sich in ihrem Verein mit einzubringen und bei wichtigen Entscheidungen mit abstimmen zu können. Anderseits steigt dadurch meiner Meinung nach die Gefahr, dass Themen wie “Ausgliederung der Profiabteilung” mehr Zustimmung erhalten könnten. Eine Idee, die von vielen aktiven Fans, Ultras und mir ( :) ) abgelehnt wird. Mitglieder, die nicht am Vereinsleben interessiert sind, dafür den Erfolg der Bundesligamannschaft mit aller Kraft erkaufen wollen, werden so eher abstimmen. Das ist natürlich ihr gutes Recht in einem Verein. Es gibt ja keinen guten oder schlechten Fans. Ich vermute nur, dass die Vereinspolitik dadurch in eine Richtung beeinflusst wird, welche mir nicht unbedingt entgegen kommt. Grundsätzlich muss man dem demokratischen Gedanken nach, der zu einem Sportverein dazugehört, allen Mitgliedern eine Partizipation ermöglichen. Es ist ein schwieriges Thema, verständlich also die Verlegung in den Mai. Ärgerlich natürlich für viele Mitglieder, die nur deswegen bis zum Schluss ausgeharrt hatten.

Der Bericht des Aufsichtsrates war im Vorfeld von vielen Seiten gespannt erwartet worden. Otto Rieckhoff ist anscheinend ein recht begnadeter Taktiker und hat seinen Bericht schon wenige Tage vor der Versammlung veröffentlicht. Dies hat der ganzen Veranstaltung ein wenig die Dramatik genommen. Tenor: Da sind Dinge komisch gelaufen, es wurde von Hoffmann und Kraus anscheinend merkwürdig mit Verträgen umgegangen, was den HSV gut 1,7 Millionen Euro gekostet hat. Nach dem Einholen von externen Meinungen wurde aber von Klagen abgesehen, da sie wenige Aussichten auf Erfolg haben würden und zudem den Ruf des HSV für die Zukunft beschädigen würde.

Mehr Informationen gab es auch nicht bei dem Bericht der Rechnungsprüfer oder bei dem Bericht von Carl Jarchow. Ein Grund seien zahlreiche Verschwiegenheitsklauseln in den Verträgen. Dies erinnerte mich an das Vorgehen bei der Pleite von Karstadt/Arcandor. Trotz offensichtlicher “Unregelmäßigkeiten” wurde dort auch nichts unternommen. Es sei ja “Firmenschädigend”. Beim HSV hört es sich an, als wäre es verklausuliert für “Wir haben uns da total über den Tisch ziehen lassen. Das ist uns jetzt, verständlicher Weise, peinlich und wenn davon jemand was mitbekommt, dann nimmt uns keiner mehr ernst.”
Entlastet wurden Hoffmann und Kraus trotzdem, gleichzeitig eine bessere Kontrolle seitens des Aufsichtsrates versprochen. Damit soll es dann auch gut sein, fanden die Mitglieder. Glücklicherweise gab es keine Spaltung des Vereins und der von der Presse erhoffte Skandal blieb aus. Ein erneuter Skandal wäre katastrophal für den Verein gewesen, nachdem endlich durch Jarchow, Rieckhoff, Arnesen und Fink Ruhe in den Verein gekommen ist.

Da waren noch einige Zettel über - es wurde wohl mit mehr Mitgliedern gerechnet.

Da waren noch einige Zettel über - es wurde wohl mit mehr Mitgliedern gerechnet.

Jarchow lieferte eine souveräne, hanseatische Vorstellung, Rieckhoff machte einen seriösen Eindruck und Arnesen war der Redner mit dem meisten Beifall und einer Rede, die sehr ambitioniert daher kam. Herrlich, wie er vom Unterschied zu der Mitgliederversammlung bei Chelsea erzählte, bei der nur er und der Besitzer, Abramowitsch, in einem Raum saßen. Von seiner Rede abgesehen war für Arnesen eigentlich der Tag gelaufen. Er war wohl die Person mit den wenigsten Redeanteilen auf dem Podium. Aber einer der Gewinner des Abends.

Ein anderer Gewinner war Oliver Scheel mit seiner Wiederwahl als Vorstandsmitglied für die Belange der Mitglieder. Christian Blunck war offensichtlich ohne Chancen, dennoch wurde ihm von vielen Seiten Dank und Respekt für seine Kandidatur entgegengebracht. Einige wollten sich unbedingt durch (teils unqualifizierte) Fragen profilieren, wobei Blunck aber souverän blieb. Alleine durch seine kurze Mitgliedszeit (seit Oktober 2011) hatte sich Blunck für eine Wahl disqualifiziert. Zu viele Mitglieder legen da großen Wert auf eine lange Mitgliedschaft. Gerade für den Vertreter der Mitglieder im Vorstand ist ein großes Wissen über Verein und Fans meiner Meinung nach unabdinglich. Dabei wirkt Christian Blunck durchaus sportlich kompetent. Er hat garantiert ein großes Verständnis für den Profisport und gute Kontakte. Dies sind aber nicht die entscheidenden Kriterien für diesen Posten. Eher etwas für den Aufsichtsrat oder so, aber vielleicht sehen wir ihn ja bei der Wahl für einen anderen Posten im Verein in einiger Zeit wieder.
Etwas Stimmung kam mit dem Antrag von Ingo Thiel auf. Er wollte mit seinem Antrag eine Satzungsänderung erreichen, wonach die Mitglieder vor einem möglichen Engagement eines Investors befragt werden müssen. Auf den ersten Blick gab es große Zustimmung, nach einer Diskussion wurde der Antrag aber vertagt. Grund war, dass es Bedenken bei der Formulierung der Satzungsänderungen gab. Diese sollen präziser formuliert und dann bei der nächsten Möglichkeit erneut vorgelegt werden. Dafür wurde dann auch seitens des Antragsstellers vom Vorstand und Aufsichtsrat gefordert, keine Investorenlösungen umzusetzen, bis der Antrag verabschiedet sei.

Mein Bericht ist alles andere als chronologisch, subjektiv und lückenhaft. Weitere Berichte über die Mitgliederversammlung gibt es bei 11Freunde, kicker, NDR und nedsblog.

Mein Fazit:
Eine gut organisierte Veranstaltung, deren Pensum mal wieder nicht zu schaffen war. Dies wurde schon beim ersten Anblick der Tagesordnung deutlich. Die Stimmung war nicht schlecht, eher sachlich und dennoch locker. Der Aufbruch, der durch die neuen Kräfte auf entscheidenden Positionen ausgelöst wurde, war spürbar. Ebenfalls aber auch die aktuelle sportliche und finanzielle Situation. Abgesehen von einigen Zwischenrufen ist es sehr ruhig geblieben. Irgendwie hatte ich erwartet, dass Impulse von dem berliner Fankongress ausgehen würden, bzw. das Thema Fans, Ultras und Pyros stärker zur Sprache kommen würde. Es waren ja wohl einige zuvor in Berlin gewesen, zumindest Philipp Markhardt habe ich gesehen (beim nächsten Sportstudio Auftritt bitte mit HSV Pin sichtbar im Bild ;) ). Nur vereinzelt wurden diese Themen angesprochen. Unter Anderem von Frank Rost, ob Pyros als Gewalt angesehen werden würden.

Eine letzte wichtige Erkenntnis war, dass die Erbsensuppe wieder extrem lecker geschmeckt! Gerne auch in Zukungt im Stadion anbieten :)

Enden möchte ich mit den Worten, die gefühlt jeder Redner als Schlussformel wählte und deren Herkunft auch noch am Podium diskutiert wurde:

Nur der HSV!

posted by Juan Castro in HSV and have Comments (4)

4 Responses to “Mein Rückblick auf die Mitgliederversammlung des HSV 2012”

  1. Guido sagt:

    Gelungene Zusammenfassung!

  2. Marco sagt:

    Gelungene Zusammenfassung. Einen kleinen Hinweis erlaube ich mir hinsichtlich Fernwahlthema: der vorliegende Antrag kann nicht zu dem Sachverhalt “Ausgliederung der Profiabteilung” genutzt werden, da er lediglich für die Wahlen der Vertreter im Aufsichtsrat und für die Wahl des Vorstands für die Belange der Mitglieder eine Fernwahl vorsieht. Satzungsänderungsanträge, also zum Beispiel einer für die Ausgliederung, können mit dem vorliegenden Antrag nicht per Fernwahl entschieden werden.

    Leider wird das oft durcheinandergewürfelt.

    Gruß

    Marco

  3. Achim sagt:

    Im Großen und Ganzen ein objektiver Bericht, nur wurde aus den 1,7 Mio von Herrn Ertel “gut 1,7 Mio” von Herrn Rieckhoff, und es ist kein Fakt, dass das Ganze dem HSV 1,7 Mio gekostet hat, sondern bei 1,7 Mio ist ist es möglich, dass sie nicht in dieser Höhe gezahlt werden mussten.
    Zum Thema Fernwahl: Schön, dass Du zugibst, dass Du gegen die Fernwahl bist, weil Du befürchtest, dass die Vereinspolitik in eine Richtung beeinflusst wird, die Dir nicht entgegen kommt – eine derart ehrliche Äußerung gab es in den bisherigen Diskussionen darüber selten.
    Wiedersprechen muss ich, was die Organisation betrifft. Diese funktionierte nur bis zum Punkt “Satzungsänderungen”. Vor einem Jahr wurden diverse Anträge zurückgestellt und ein Satzungsausschuß gegründet, damit die Anträge auch besser koordiniert werden können. Ergebnis: Sehr schlecht formulierte (oder bewußt so, aber mit verfälschten Sinn vorgetragene) Anträge wie der von Herrn Thiel und diverse konkurrierende Anträge. Das ist kein Problem der Organisation – aber als es um Ochsenzoll ging und Dr. Peters über 4 verschiedene Anträge abstimmen lassen wollte, die weder in der Tagesordnung zusammen passend gruppiert waren, noch lag z.B. sein eigener Vorschlag als Antrag vor – statt dessen wurde über 4 der schätzungsweise 10 Änderungen in seinem Antrag abgestimmt, darüber hinaus in einer gegenüber der Einladung veränderten Ausprägung – ich bin mir nicht sicher, ob dieses Verfahren rechtlich ganz sauber war. Und zumindest über das Vorgehen, wie man über die einzelnen Änderungsanträge abstimmt, hätte man sich in der Zeit zwischen Ende der Antragsfrist und Versenden der Tagesordnung Gedanken machen müssen.

  4. Juan Castro sagt:

    @Guido
    Danke :)

    @Marco
    Danke für Deine Anmerkung! Dieses Detail war mir so nicht bewusst. Dann gibt es für mich nichts, was gegen die Fernwahl spricht.

    @Achim
    Zu den 1,7 Mio. An der Stelle war ich etwas unpräzise, hast Du recht.
    Zu der Fernwahl. Da ich dank der Anmerkung von Marco aufgeklärt wurde, dass mit der Fernwahl solch substantielle Themen wie die Ausgliederung nicht bestimmt werden können, bin ich durchaus für die Fernwahl. Sehe keinen Grund, wieso Mitglieder nicht bei Aufsichtsratswahlen per Internet/Brief mit abstimmen sollten. Voraussetzung ist allerdings, dass im Vorfeld gut über die Kandidaten informiert wurde und vielleicht auch die Möglichkeit für Fragen geboten wurde.
    Mit der gut gelaufenen Organisation meinte ich eher den Rahmen der Veranstaltung an sich und nicht die inhaltliche Organisation. Die Anträge waren zum Teil extrem chaotisch, gerade die Ochsenzoll Posse. Da bin ich ganz Deiner Meinung.
    Vielen Dank für Deine Anmerkungen!

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